Journalisten: Mangelhafte Ausbildung für Twitter – übertragsbar auf viele Situationen

Mangelhafte Ausbildung für Twitter

Kaum eine Redaktion verzichtet auf die Nutzung von Twitter. Allerdings haben viele Journalisten den Umgang mit „Social Web“-Diensten wie Twitter noch nicht gelernt, sagen die Redaktionsleiter. Das „Social Web“ müsse deshalb besser in der Ausbildung verankert werden. Dies sind einige zentrale Ergebnisse der Studie „Twitter und Journalismus“, die die Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) heute (20. November) in Recklinghausen beim Journalistentag des DJV vorgestellt hat.

Die Resultate verdeutlichen weiterhin, dass nicht Konkurrenz, sondern Komplementarität das Verhältnis zwischen Twitter und dem Journalismus am besten beschreibt: Twitter dient als journalistische Recherchehilfe und Resonanzraum, in dem das Publikum die Themen der Massenmedien aufgreift, kommentiert und weiterempfiehlt.

Die Studie, die am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster durchgeführt wurde, basiert im Kern auf einer Befragung von 70 Internet-Redaktionsleitern im Mai und Juni 2010. Der Microblogging-Dienst Twitter, über den die Teilnehmer Mitteilungen („Tweets“) von maximal 140 Zeichen Länge verbreiten und sich untereinander vernetzen können, hat seit seiner Gründung 2006 auch in Deutschland rasant an Bekanntheit gewonnen.

Internetredaktionen nutzen Twitter besonders für Eigenwerbung und bei Recherchen. Aber auch die Live-Berichterstattung und der Austausch mit dem Publikum via Twitter sind mehrheitlich in den befragten Redaktionen verbreitet. Nur ausnahmsweise wie im Fall überraschender Negativereignisse wird Twitter zu einem Kanal, in dem Nicht-Journalisten exklusiv berichten können. So sind Informationen über die Proteste der Opposition im Iran vor allem über Twitter verbreitet worden. Auch bei überraschenden lokalen Ereignissen wie Verkehrsunfällen oder bei Stromausfall haben sich Redaktionen in Twitter einen ersten Überblick verschafft. Doch solche Augenzeugenberichte bedürfen der journalistischen Prüfung und Einordnung. Die Redaktionen rechnen nicht mit einer Konkurrenz durch Twitter: „Anzeichen für einen ‚Bürgerjournalismus’, der den professionellen Journalismus ersetzen könnte, haben wir auf Twitter nicht finden können“, stellte Prof. Christoph Neuberger als Leiter des Projektes fest. Dafür seien andere Formate wie Web-Blogs und Communities besser geeignet.

Zeitdruck in den Redaktionen steigt

Verschlechtert sich durch die hohe Geschwindigkeit und Verknappung der Kommunikation in Twitter die Qualität des Journalismus? Während knapp zwei Drittel der Befragten der Annahme zustimmen, dass durch Twitter der Zeitdruck im Journalismus steigt, lehnen fast genauso viele das Statement ab, dass sich in 140 Zeichen Qualitätsstandards nicht einhalten lassen. Für den Umgang mit Twitter bilden sich in den Redaktionen zwar spezielle Regeln heraus, dennoch halten 60 Prozent der Redaktionsleiter die Kompetenz ihrer Mitarbeiter für stark verbesserungswürdig. Besonders in Tageszeitungsredaktionen werden Ausbildungsmängel registriert. Am häufigsten eignen sich Journalisten ihr Wissen über Twitter durch „Learning by doing“ und den informellen Austausch mit Kollegen an.

LfM-Direktor Jürgen Brautmeier sagte, der Einsatz von Microblogging-Diensten wie Twitter dürfe nicht dazu führen, dass die eigentliche Recherche in den Redaktionen zu kurz komme: „Großer Zeitdruck ist heute schon in vielen Redaktionen nichts Unbekanntes. Durch Twitter erhöht sich die Gefahr, dass Meldungen ungeprüft verwendet werden. Wir brauchen deshalb klare Qualitätsstandards in den Redaktionen.“

Weite Verbreitung in den Internetredaktionen

Im Mai und Juni 2010 wurden die Leiter der Internetredaktionen mit Sitz in Deutschland befragt. Zur Grundgesamtheit der Studie gehörten thematisch universelle und auf ein überregionales Publikum ausgerichtete Internetangebote. Dazu zählten Online-Ableger von Hörfunk, Fernsehen, Wochenzeitungen und „General interest“-Publikumszeitschriften sowie Nur-Internetangebote. Im Fall der Tageszeitungen wurde der Kreis weiter gezogen: Hier wurden alle „publizistischen Einheiten“ befragt. 70 von 157 angeschriebenen Redaktionsleitern haben an der Online-Befragung teilgenommen (Rücklauf: 45 Prozent). Davon stammten 54 von Tageszeitungen und 11 von Rundfunkanbietern.

Nahezu alle befragten Redaktionen nutzen Twitter. Im Vergleich mit anderen „Social Web“-Diensten ergibt sich sogar, dass Twitter die am häufigsten genutzte Anwendung ist, und zwar noch vor Weblogs, „Social Bookmarking“-Diensten, Facebook, YouTube, StudiVZ/MeinVZ und MySpace. Bei der Einschätzung der Wichtigkeit für das Publizieren und/oder die Interaktion mit den Nutzern erreicht Twitter den zweiten Rang hinter Facebook.

Eine Zusammenfassung der Studie ist hier erhältlich.

Bibliografische Angaben zur Studie: Prof. Dr. Christoph Neuberger (Projektleiter), Hanna Jo vom Hofe M. A., Christian Nuernbergk M. A., Twitter und Journalismus. Der Einfluss des „Social Web“ auf die Nachrichten. Düsseldorf: LfM, 2010. 128 S. (LfM-Dokumentation; Band 38).

Die Studie ist über den Warenkorb der LfM kostenfrei zu beziehen.

Hinweis: Im Jahr 2008 hatte die LfM eine Studie zur „Journalistischen Online-Recherche“ veröffentlicht (Marcel Machill u. a.: Journalistische Recherche im Internet.Bestandsaufnahme journalistischer Arbeitsweisen in Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Online. Berlin 2008, Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, Band 60). Auch diese Studie konstatierte seinerzeit Risiken und Qualitätsmängel in Redaktionen: seltene Überprüfung von Online-Quellen; Rückgriff auf andere journalistische Erzeugnisse statt auf Primärquellen etc..

Infos zu dieser Studie finden Sie hier

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